Vereinbarungsdebatten | Inhalt | Die Unterdrückung der Klubs in Stuttgart und Heidelberg

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 222-237
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Die Debatte über den Jacobyschen Antrag

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 48 vom 18. Juli 1848]

<222> **Köln, 17. Juli. Wir haben wieder einmal eine "große Debatte" gehabt, um mit Herrn Camphausen zu sprechen, eine Debatte, die volle zwei Tage dauerte.

Die Grundlagen der Debatte sind bekannt: der Vorbehalt der Regierung gegen die sofortige Rechtsgültigkeit der Beschlüsse der Nationalversammlung und der Jacobysche Antrag auf Anerkennung der Befugnis der Versammlung, sofort rechtskräftige Beschlüsse zu fassen, ohne die Zustimmung von irgend jemand abzuwarten, aber auch auf Mißbilligung des Beschlusses über die Zentralgewalt.

Wie eine Debatte über diesen Gegenstand nur möglich war, wird andern Völkern unbegreiflich erscheinen. Aber wir sind im Land der Eichen und der Linden, und da darf uns so leicht nichts verwundern.

Das Volk schickt eine Versammlung nach Frankfurt mit dem Mandat, sie soll sich souverän erklären über ganz Deutschland und alle seine Regierungen; sie soll kraft ihrer vom Volk ihr übertragenen Souveränetät eine Verfassung für Deutschland beschließen.

Die Versammlung, statt sogleich ihre Souveränetät gegenüber den Einzelstaaten und dem Bundestag zu proklamieren, umgeht schüchtern jede Frage, die darauf Bezug hat, und bewahrt eine unentschiedene, schwankende Stellung.

Endlich kommt sie zu einer entscheidenden Frage: zur Ernennung einer provisorischen Zentralgewalt. Scheinbar unabhängig, in der Tat aber von den Regierungen durch Gagerns Vermittlung geleitet, wählt sie selbst den ihr von den Regierungen im voraus bestimmten Reichsverweser.

Der Bundestag erkennt die Wahl an und zeigt eine gewisse Prätension, ihr durch seine Bestätigung erst Rechtskraft zu geben.

<223> Trotzdem aber laufen von Hannover und selbst von Preußen Vorbehalte ein; und der preußische Vorbehalt ist es, der der Debatte vom 11. und 12. zum Grunde liegt.

Die Berliner Kammer ist also diesmal nicht so sehr schuld daran, wenn die Debatten sich ins Nebelhafte verlaufen. Es ist die Schuld der unentschiedenen, schlaffen, energielosen Frankfurter Nationalversammlung, wenn ihre Beschlüsse derart sind, daß sich schwer andres über sie sagen läßt als bloße Kannegießereien.

Jacoby leitet seinen Antrag kurz und mit seiner gewöhnlichen Präzision ein. Er erschwert den Rednern der Linken ihren Standpunkt sehr; er sagt alles, was man über den Antrag sagen kann, wenn man nicht auf die für die Nationalversammlung so kompromittierende Entstehungsgeschichte der Zentralgewalt eingehen will.

In der Tat haben nach ihm die Abgeordneten der Linken wenig Neues mehr vorgebracht, wogegen es der Rechten noch viel schlimmer erging: sie verlief sich entweder in pure Kannegießerei oder in juristische Spitzfindigkeiten. Auf beiden Seiten wurde unendlich oft wiederholt.

Der Abgeordnete Schneider hat die Ehre, die Argumente der Rechten zuerst der Versammlung zu unterbreiten.

Er beginnt mit dem großen Argument, daß der Antrag sich selbst widerspreche. Einerseits erkenne er die Souveränetät der Nationalversammlung an, andrerseits fordre er die Vereinbarungskammer auf, einen Tadel gegen sie auszusprechen und sich dadurch über sie zu stellen. Jeder Einzelne könne den Tadel aussprechen, nicht aber die Versammlung.

Dieser feine Beweisgrund, auf den die Rechte augenscheinlich sehr stolz ist, denn er geht durch alle ihre Reden, stellt eine ganz neue Theorie auf. Nach ihr hat die Versammlung weniger Recht als ein Einzelner gegenüber der Nationalversammlung.

Auf dies erste große Argument folgt das republikanische. Deutschland besteht größtenteils aus konstitutionellen Monarchien und daher muß es auch ein konstitutionelles, unverantwortliches Oberhaupt haben, kein republikanisches, verantwortliches. Dies Argument hat am zweiten Tage Herr Stein beantwortet: Deutschland war seiner Zentralverfassung nach immer eine Republik, freilich auch eine erbauliche Republik.

"Wir haben", sagt Herr Schneider, "das Mandat erhalten, die konstitutionelle Monarchie zu vereinbaren, und die Frankfurter haben das ähnliche Mandat erhalten, mit den deutschen Regierungen eine Verfassung für Deutschland zu vereinbaren."

Die Reaktion spricht ihre Wünsche schon als bestehende Tatsachen aus. Damals, als der zitternde Bundestag auf Befehl einer Versammlung ohne <224> irgendein rechtskräftiges Mandat, des sogenannten Vorparlaments, die deutsche Nationalversammlung einberief, damals war von Vereinbarung nicht die Rede, damals galt die berufene Nationalversammlung für souverän. Jetzt aber ist das anders. Die Pariser Junitage haben die Hoffnungen nicht nur der großen Bourgeoisie, sondern auch der Anhänger des gestürzten Systems neu geschwellt. Jeder Krautjunker erwartet die Herstellung seines alten Kantschuregiments, und von dem kaiserlichen Hoflager zu Innsbruck bis zu der Stammburg Heinrichs LXXII. beginnt schon der Ruf nach "Vereinbarung der deutschen Verfassung" sich zu erheben. Das hat die Frankfurter Versammlung sich freilich selbst zuzuschreiben.

"Die Nationalversammlung hat also nach ihrem Mandat gehandelt, indem sie ein konstitutionelles Oberhaupt wählte. Sie hat aber auch nach dem Willen des Volkes gehandelt; die große Majorität will die konstitutionelle Monarchie. Ja, ich hätte es für ein Unglück gehalten, hatte die Nationalversammlung anders beschlossen. Nicht weil ich gegen die Republik bin, im Prinzip erkenne ich - darin bin ich mit mir vollständig einig - die Republik als die vollkommenste und edelste Staatsform an, aber in der Wirklichkeit sind wir dahin noch lange nicht gelangt. Wir können die Form nicht haben, ohne den Geist zu haben. Wir können keine Republik haben wollen, wenn uns die Republikaner fehlen, d.h. die edlen Charaktere, die nicht nur in der Begeisterung, sondern zu jeder Zeit mit ruhigem Bewußtsein und in edler Selbstverleugnung ihr Interesse dem gemeinsamen Interesse unterzuordnen wissen."

Kann man einen schönern Beweis verlangen, welche Tugenden in der Berliner Kammer vertreten sind, als diese edlen, bescheidenen Worte des Abgeordneten Schneider? Wahrlich, wenn noch ein Zweifel bestehen konnte über die Befähigung der Deutschen zur Republik, er mußte in sein Nichts verschwinden vor diesen Proben echter Bürgertugend, edler, bescheidenster Selbstaufopferung unseres Cincinnatus-Schneider! Möge Cincinnatus Mut fassen und Vertrauen zu sich und den zahllosen edlen Bürgern Deutschlands, die ebenfalls die Republik für die edelste Staatsform, aber sich selbst für schlechte Republikaner halten: Sie sind reif für die Republik, sie würden die Republik mit demselben heroischen Gleichmut ertragen wie die absolute Monarchie. Die Republik der Biedermänner würde die glücklichste sein, die je bestand: eine Republik ohne Brutus und Catilina, ohne Marat und Junistürme, die Republik der satten Tugend und zahlungsfähigen Moral.

Wie sehr täuscht sich Cincinnatus-Schneider, wenn er ausruft:

"Unter dem Absolutismus können sich keine republikanischen Charaktere bilden; es läßt sich der republikanische Geist nicht hervorrufen, wie man die Hand umdreht; wir haben unsere Kinder und Kindeskinder dahin erst zu erziehen! Gegenwärtig würde ich die Republik nur für das höchste Unheil halten, denn sie wäre die Anarchie <225> mit dem entheiligten Namen der Republik, der Despotismus unter der Larve der Freiheit!"

Im Gegenteil, die Deutschen sind, wie Herr Vogt (von Gießen) in der Nationalversammlung sagte, die gebornen Republikaner, und Cincinnatus-Schneider kann seine Kinder nicht besser zur Republik erziehen, als wenn er sie in der alten deutschen Zucht, Sitte und Gottesfurcht erzieht, in der er selbst schlecht und recht herangewachsen. Die Republik der Biedermänner würde anstatt Anarchie und Despotismus dieselben gemütlichen Weißbierverhandlungen erst zur höchsten Vollkommenheit entwickeln, in denen Cincinnatus-Schneider sich so sehr auszeichnet. Die Republik der Biedermänner, fern von allen Greueln und Verbrechen, die die französische erste Republik besudelten, rein von Blut und die rote Fahne verabscheuend, würde das bisher Unerreichte möglich machen, daß jeder honette Bürger ein stilles und ruhiges Leben führe in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Wer weiß, ob uns die Republik der Biedermänner nicht gar die Zünfte mit sämtlichen erheiternden Bönhasenprozessen wiederbrächte! Diese Republik der Biedermänner ist kein luftgewebtes Traumbild, sie ist eine Wirklichkeit, sie existiert in Bremen, Hamburg, Lübeck und Frankfurt und selbst noch in einigen Teilen der Schweiz. Überall aber droht ihr Gefahr im Sturm der Zeiten, überall ist sie am Untergehen.

Darum auf, Cincinnatus-Schneider, verlaß Pflug und Rübenfeld, Weißbier und Vereinbarung, steig zu Roß und rette die bedrohte Republik, deine Republik, die Republik der Biedermänner!

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 49 vom 19. Juli 1848]

**Köln, 18. Juli. Nach Herrn Schneider betritt Herr Waldeck die Tribüne, um für den Antrag zu sprechen:

"Wahrlich, die Lage des preußischen Staats ist jetzt beispiellos, und im Grunde kann man sich nicht verhehlen, sie ist auch einigermaßen bedenklich."

Dieser Anfang ist ebenfalls einigermaßen bedenklich. Wir glauben noch immer den Abgeordneten Schneider zu hören:

"Preußen war, wir dürfen es sagen, berufen zur Hegemonie in Deutschland."

Noch immer die altpreußische Illusion, noch immer der süße Traum, Deutschland in Preußen aufgehen zu machen und Berlin zum deutschen Paris zu erklären! Herr Waldeck sieht zwar diese süße Hoffnung vor seinen Augen zerrinnen, aber mit schmerzlichem Gefühl schaut er ihr nach, er <226> macht der vorigen und jetzigen Regierung einen Vorwurf daraus, sie habe es verschuldet, daß Preußen nicht an der Spitze von Deutschland stehe.

Leider, die schönen Tage sind vorüber, in denen der Zollverein die preußische Hegemonie über Deutschland anbahnte, in denen der Provinzialpatriotismus glauben konnte, "der märkische Stamm habe seit 200 Jahren die Geschicke Deutschlands entschieden" und werde sie auch ferner entscheiden; die schönen Tage, in denen das gänzlich zerfallende Bundestags-Deutschland selbst in der allgemeinen Anwendung der preußisch-bürokratischen Zwangsjacke ein letztes Mittel des Zusammenhalts sehen konnte!

"Der längst von der öffentlichen Meinung gerichtete Bundestag verschwindet, und plötzlich steht vor den Augen der erstaunten Welt die konstituierende Nationalversammlung zu Frankfurt!"

Die "Welt" mußte allerdings "erstaunen", als sie diese konstituierende Nationalversammlung sah. Man vergleiche darüber die französischen, englischen und italienischen Blätter.

Herr Waldeck erklärt sich noch des breiteren gegen einen deutschen Kaiser und macht dem Herrn Reichensperger II Platz.

Herr Reichensperger II erklärt die Unterstützer des Jacobyschen Antrags für Republikaner und wünscht, sie möchten nur so offen mit ihren Absichten hervortreten wie die Frankfurter Republikaner. Dann beteuert auch er, Deutschland besitze noch nicht das "Vollmaß bürgerlicher und politischer Tugend, welches ein großer Staatslehrer <Montesquieu> als die wesentliche Bedingung der Republik bezeichnet". Es muß schlimm um Deutschland stehen, wenn der Patriot Reichensperger das sagt!

Die Regierung, fährt er fort, hat keine Vorbehalte gemacht (!), sondern bloße Wünsche ausgesprochen. Dazu war Veranlassung genug, und auch ich hoffe, daß nicht immer die Regierungen bei den Beschlüssen der Nationalversammlung umgangen werden. Eine Festsetzung der Kompetenz der Frankfurter Nationalversammlung liegt außer unserer Kompetenz; die Nationalversammlung selbst hat sich dagegen ausgesprochen, Theorien über ihre Kompetenz aufzustellen, sie hat praktisch gehandelt, wo die Notwendigkeit das Handeln gebot.

Das heißt, die Frankfurter Versammlung hat nicht in der Zeit der revolutionären Aufregung, wo sie allmächtig war, den unausbleiblichen Kampf mit den deutschen Regierungen durch einen entscheidenden Schlag abgemacht; sie hat vorgezogen, die Entscheidung aufzuschieben, bei jedem einzelnen Beschluß kleine Scharmützel mit dieser oder jener Regierung zu <227> bestehen, die für sie in demselben Maße schwächend sind, als sie sich von der Zeit der Revolutionen entfernt und durch ihr schlaffes Auftreten in den Augen des Volks kompromittiert. Und insofern hat Herr Reichensperger recht: Es verlohnt sich für uns nicht der Mühe, einer Versammlung zu Hülfe zu kommen, die sich selbst im Stich läßt!

Rührend aber ist es, wenn Herr Reichensperger sagt:

"Es ist also unstaatsmännisch, derartige Kompetenzfragen zu erörtern; es kömmt nur darauf an, die jedesmal sich darbietenden praktischen Fragen zu lösen."

Allerdings, es ist "unstaatsmännisch", diese "praktischen Fragen" ein für allemal durch einen energischen Beschluß zu beseitigen; es ist "unstaatsmännisch", das revolutionäre Mandat, das jede aus den Barrikaden hervorgegangene Versammlung besitzt, geltend zu machen gegenüber den Versuchen der Reaktion, die Bewegung aufzuhalten; allerdings, Cromwell, Mirabeau, Danton, Napoleon, die ganze englische und französische Revolution waren höchst "unstaatsmännisch", aber Bassermann, Biedermann, Eisenmann, Wiedenmann, Dahlmann benehmen sich "staatsmännisch"! Die "Staatsmänner" hören überhaupt auf, wenn die Revolution eintritt, und die Revolution muß für den Augenblick eingeschlafen sein, wenn die "Staatsmänner" wieder auftreten! Und vollends die Staatsmänner von der Stärke des Herrn Reichensperger II, Abgeordneten des Kreises Kempen!

"Gehen Sie von diesem System ab, so wird es schwerlich gelingen, Konflikte mit der deutschen Nationalversammlung oder mit den Regierungen der Einzelstaaten zu vermeiden; in jedem Falle werden Sie beklagenswerten Zwiespalt säen; infolge des Zwiespalts wird die Anarchie sich erheben, und niemand schützt uns alsdann vor Bürgerkrieg. Der Bürgerkrieg aber ist der Anfang noch größern Unglücks ... ich halte es nicht für unmöglich, daß es alsdann auch einmal von uns heißen wird: Die Ordnung ist in Deutschland hergestellt - durch unsere Freunde von Osten und Westen!"

Herr Reichensperger mag recht haben. Wenn die Versammlung sich auf Kompetenzfragen einläßt, so mag das Veranlassung zu Kollisionen sein, die den Bürgerkrieg, die Franzosen und die Russen herbeirufen. Aber wenn sie es nicht tut, wie sie es wirklich nicht getan hat, so ist uns der Bürgerkrieg doppelt sicher. Die Konflikte, im Anfang der Revolution noch ziemlich einfach, verwickeln sich täglich mehr, und je länger die Entscheidung aufgeschoben wird, desto schwieriger, desto blutiger wird die Lösung sein.

Ein Land wie Deutschland, das gezwungen ist, sich aus der namenlosesten Zersplitterung zur Einheit emporzuarbeiten, das bei Strafe des Untergangs einer um so strengeren revolutionären Zentralisation bedarf, je zerfallener es bisher war; ein Land, das zwanzig Vendéen in seinem Schoße birgt, das <228> von den beiden mächtigsten und zentralisiertesten Kontinentalstaaten eingeklemmt, von zahllosen kleinen Nachbarn umgeben und mit allen gespannt oder gar im Kriege ist - ein solches Land kann in der gegenwärtigen Zeit der allgemeinen Revolution weder dem Bürgerkriege noch dem auswärtigen Kriege entgehen. Und diese Kriege, die uns ganz sicher bevorstehen, werden um so gefährlicher, um so verheerender werden, je unentschlossener das Volk und seine Leiter sich benehmen, je länger die Entscheidung hinausgeschoben wird. Bleiben die "Staatsmänner" des Herrn Reichensperger am Ruder, so können wir einen zweiten Dreißigjährigen Krieg erleben. Aber zum Glück haben die Gewalt der Ereignisse, das deutsche Volk, der Kaiser von Rußland und das französische Volk noch ein Wort mitzusprechen.

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 53 vom 23. Juli 1848]

**Köln, 22. Juli. Endlich gestatten uns die Ereignisse, Gesetzentwürfe, Waffenstillstandsprojekte usw. wieder zu unsern geliebten Vereinbarungsdebatten zurückzukehren. Wir finden den Abgeordneten Herrn v. Berg aus Jülich auf der Tribüne, einen Mann, der uns doppelt interessiert: erstens als Rheinländer und zweitens als Ministerieller neuesten Datums.

Herr Berg ist aus verschiedenen Gründen gegen den Jacobyschen Antrag. Der erste ist dieser:

"Der erste Teil des Antrags, der an uns die Forderung stellt, eine Mißbilligung eines Beschlusses des deutschen Parlaments auszusprechen, dieser erste Teil ist weiter nichts als ein Protest im Namen einer Minorität gegen eine gesetzliche Majorität. Es ist weiter nichts als ein Versuch einer Partei, die innerhalb eines gesetzgebenden Körpers unterlegen ist, sich von außen zu stärken, ein Versuch, der in seinen Konsequenzen zum Bürgerkrieg führen muß."

Herr Cobden befand sich von 1840 bis 1845 mit seinem Antrag zur Aufhebung der Korngesetze im Unterhause in der Minorität. Er gehörte zu "einer Partei, die innerhalb eines gesetzgebenden Körpers unterlegen" war. Was tat er? Er suchte sich "von außen zu stärken". Er erließ nicht bloß eine Mißbilligung der Beschlüsse des Parlaments; er ging viel weiter, er gründete und organisierte die Anti-Korngesetz-Ligue, die Anti-Korngesetz-Presse, kurz die ganze kolossale Agitation gegen die Korngesetze. Nach der Ansicht des Herrn Berg war das ein Versuch, der "zum Bürgerkrieg führen mußte".

Die Minorität des seligen Vereinigten Landtags suchte sich ebenfalls "von außen zu stärken". Herr Camphausen, Herr Hansemann, Herr Milde nahmen in dieser Beziehung nicht den mindesten Anstand. Die beweisenden Tatsachen sind notorisch. Es ist klar, nach Herrn Berg, daß die Konsequenzen <229> auch ihres Benehmens "zum Bürgerkrieg führen mußten". Sie führten aber nicht zum Bürgerkrieg, sondern zum Ministerium.

Und so könnten wir noch hundert andre Beispiele anführen.

Also die Minorität eines gesetzgebenden Körpers soll sich bei Strafe, zum Bürgerkriege zu führen, nicht von außen zu stärken suchen. Aber was ist denn "von außen"? Die Wähler, d.h. die Leute, die die gesetzgebenden Körper machen. Und wenn man sich nicht mehr durch Einwirkung auf diese Wähler "stärken" soll, wodurch soll man sich stärken?

Sind die Reden der Herrn Hansemann, Reichensperger, v. Berg etc. bloß für die Versammlung gehalten oder auch fürs Publikum, dem sie durch stenographische Berichte mitgeteilt werden? Sind diese Reden nicht ebenfalls Mittel, wodurch diese "Partei innerhalb eines gesetzgebenden Körpers" sich "von außen zu stärken sucht" oder zu [stärken] hofft?

Mit einem Wort: Das Prinzip des Herrn Berg würde zur Aufhebung aller politischen Agitation führen. Die Agitation ist nichts anders als die Anwendung der Unverantwortlichkeit der Repräsentanten, der Preßfreiheit, des Assoziationsrechts - d.h. der in Preußen zu Recht bestehenden Freiheiten. Ob diese Freiheiten zum Bürgerkriege führen oder nicht, geht uns gar nichts an; genug, sie bestehen, und wir wollen sehen, wohin es "führt", wenn man fortfährt, sie anzutasten.

"Meine Herren, diese Versuche der Minorität, sich außerhalb der gesetzgebenden Gewalt Kraft und Geltung zu verschaffen, sind nicht von heute und gestern, sie datieren vom ersten Tag der deutschen Erhebung. Auf dem Vorparlament entfernte sich die Minorität protestierend, und die Folge davon war ein Bürgerkrieg."

Erstens ist hier beim Jacobyschen Antrag von einer "protestierenden Entfernung der Minorität" keine Rede.

Zweitens "sind die Versuche der Minorität, sich außerhalb der gesetzgebenden Gewalt Geltung zu verschaffen", allerdings "nicht von heute und gestern", denn sie datieren von dem Tage, wo es gesetzgebende Gewalten und Minoritäten gab.

Drittens hat nicht die protestierende Entfernung der Minorität des Vorparlaments zum Bürgerkrieg geführt, sondern die "moralische Überzeugung" des Herrn Mittermaier, daß Hecker, Fickler und Konsorten Landesverräter seien, und die infolge davon ergriffenen, durch die schlotterndste Angst diktierten Maßregeln der badischen Regierung.

Nach dem Argument des Bürgerkriegs, das natürlich ganz geeignet ist, dem deutschen Bürger gewaltige Angst einzujagen, kommt das Argument des mangelnden Mandats.

<230> "Wir sind von unsern Wählern gewählt, um eine Staatsverfassung für Preußen zu begründen; dieselben Wähler haben andere ihrer Mitbürger nach Frankfurt entsendet, um dort die Zentralgewalt zu begründen. Es ist nicht zu leugnen, daß dem Wähler, welcher das Mandat gibt, allerdings zusteht, das, was der Mandatar tut, zu billigen oder zu mißbilligen; aber die Wähler haben uns nicht beauftragt, in dieser Beziehung die Stimmen für sie zu führen."

Dies triftige Argument hat große Bewunderung bei den Juristen und juristischen Dilettanten der Versammlung erregt. Wir haben kein Mandat! Und dennoch behauptet derselbe Herr Berg zwei Minuten später, die Frankfurter Versammlung sei "berufen worden, um im Einvernehmen mit den deutschen Regierungen die künftige Verfassung Deutschlands aufzubauen", und die preußische Regierung würde in diesem Falle doch hoffentlich ihre Bestätigung nicht geben, ohne die Vereinbarungsversammlung oder die nach der neuen Konstitution gewählte Kammer zu Rate zu ziehen. Und dennoch hat das Ministerium die Anerkennung des Reichsverwesers der Versammlung sogleich nebst ihren Vorbehalten angezeigt und die Versammlung dadurch aufgefordert, ihr Urteil abzugeben!

Gerade der Standpunkt des Herrn Berg, seine eigene Rede und die Mitteilung des Herrn Auerswald führen also zu der Konsequenz, daß die Versammlung allerdings ein Mandat hat, sich mit den Frankfurter Beschlüssen zu beschäftigen!

Wir haben kein Mandat! Also wenn die Frankfurter Versammlung die Zensur wieder vorschreibt, bei einem Konflikt zwischen Kammer und Krone bayrische und östreichische Truppen zur Unterstützung der Krone nach Preußen schickt, so hat Herr Berg "kein Mandat"!

Welches Mandat hat Herr Berg? Buchstäblich nur das, "die Verfassung mit der Krone zu vereinbaren". Er hat also keineswegs das Mandat zu interpellieren, Unverantwortlichkeitsgesetze, Bürgerwehrgesetze, Ablösungsgesetze und andere nicht in der Verfassung figurierende Gesetze zu vereinbaren. Die Reaktion behauptet das auch täglich. Er selbst sagt: "Jeder Schritt über dieses Mandat hinaus ist Ungerechtigkeit, ein Aufgeben desselben oder gar Verrat!"

Und dennoch gibt Herr Berg und die ganze Versammlung jeden Augenblick, von der Notwendigkeit gezwungen, ihr Mandat auf. Sie muß es infolge des revolutionären oder vielmehr jetzt reaktionären Provisoriums. Infolge dieses Provisoriums gehört aber alles zur Kompetenz der Versammlung, was dazu dient, die Errungenschaften der Märzrevolution sicherzustellen, und wenn dies durch einen moralischen Einfluß auf die Frankfurter Versammlung geschehen kann, so ist die Vereinbarungskammer dazu nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet.

<231> Folgt das rheinpreußische Argument, das für uns Rheinländer von besondrer Wichtigkeit ist, weil es beweist, wie wir in Berlin vertreten sind.

"Wir Rheinländer, Westfalen und noch andere Provinzen haben mit Preußen durchaus kein anderes Verband, als daß wir zur Krone Preußen gekommen sind. Lösen wir das Band auf, so fällt der Staat auseinander. Ich sehe auch gar nicht ein, und ich glaube, die meisten Deputierten meiner Provinz auch nicht, was wir mit einer Republik Berlin sollen. Da könnten wir ja lieber eine Republik Köln wollen."

Auf die kannegießerlichen Möglichkeiten, was wir wohl "wollen könnten", wenn Preußen sich in eine "Republik Berlin" verwandelte, auf die neue Theorie über die Lebensbedingungen des preußischen Staats usw. gehen wir gar nicht ein. Wir protestieren als Rheinländer nur dagegen, daß "wir zur Krone Preußen gekommen sind". Im Gegenteil, die "Krone Preußen" ist zu uns gekommen.

Der nächste Redner gegen den Antrag ist der Herr Simons aus Elberfeld. Er wiederholt alles, was der Herr Berg gesagt hat.

Auf ihn folgt ein Redner der Linken und sodann der Herr Zachariä. Er wiederholt alles, was Herr Simons gesagt hat.

Der Abgeordnete Duncker wiederholt alles, was Herr Zachariä gesagt hat. Er sagt aber auch noch einige andere Dinge, oder er sagt das schon Gesagte in so krasser Form, daß wir gut tun, auf seine Rede kurz einzugehen.

"Wenn wir, die konstituierende Versammlung von 16 Millionen Deutschen, der konstituierenden Versammlung sämtlicher Deutschen einen solchen Tadel hinwerfen, stärken wir dadurch in dem Bewußtsein des Volks die Autorität der deutschen Zentralgewalt, die Autorität des deutschen Parlaments? Untergraben wir nicht damit den freudigen Gehorsam, der ihr von den einzelnen Stämmen [gewährt] werden muß, wenn sie wirken soll für die Einheit Deutschlands?"

Nach Herrn Duncker besteht die Autorität der Zentralgewalt und Nationalversammlung, der "freudige Gehorsam"; er besteht darin, daß das Volk sich ihr blindlings unterwirft, aber die einzelnen Regierungen ihre Vorbehalte machen und gelegentlich ihr den Gehorsam kündigen.

"Wozu in unserer Zeit, wo die Gewalt der Tatsachen eine so unermeßliche ist, wozu theoretische Erklärungen?"

Die Anerkennung der Souveränetät der Frankfurter Versammlung durch die Vertreter "von 16 Millionen Deutschen" ist also eine bloß "theoretische Erklärung"!?

"Wenn in Zukunft die Regierung und die Volksvertretung Preußens einen Beschluß, der in Frankfurt gefaßt würde, für unmöglich, für unausführbar hielten, würde dann überhaupt die Möglichkeit der Ausführung eines solchen Beschlusses da sein?"

<232> Die bloße Meinung, das Dafürhalten der preußischen Regierung und Volksvertretung wäre also imstande, Beschlüsse der Nationalversammlung unmöglich zu machen.

"Wenn das ganze preußische Volk, wenn zwei Fünftel Deutschlands sich den Frankfurter Beschlüssen nicht unterwerfen wollten, so wären sie unausführbar, wir mögen heute aussprechen, was wir wollen."

Da haben wir den ganzen alten Preußenhochmut, den Berliner Nationalpatriotismus in der ganzen alten Glorie mit dem Zopf und Krückstock des alten Fritzen. Wir sind zwar die Minorität, wir sind nur zwei Fünftel (nicht einmal), aber wir werden der Majorität schon zeigen, daß wir die Herren in Deutschland, daß wir die Preußen sind!

Wir raten den Herrn von der Rechten nicht, einen solchen Konflikt zwischen "Zwei Fünftel" und "Drei Fünftel" zu provozieren. Das Zahlenverhältnis würde sich doch ganz anders stellen, und manche Provinz dürfte sich erinnern, daß sie seit undenklichen Zeiten deutsch, aber erst seit dreißig Jahren preußisch ist.

Aber Herr Duncker hat einen Ausweg. Die Frankfurter so gut wie wir müssen "solche Beschlüsse fassen, daß in ihnen ausgesprochen ist der vernünftige Gesamtwille, die wahre öffentliche Meinung, daß sie bestehen können vor dem sittlichen Bewußtsein der Nation", d.h. Beschlüsse nach dem Herzen des Abgeordneten Duncker.

"Wenn wir, wenn jene in Frankfurt solche Beschlüsse fassen, dann sind wir, dann sind sie souverän, sonst sind wir es nicht, und wenn wir es zehnmal dekretieren."

Nach dieser tiefsinnigen, seinem sittlichen Bewußtsein entsprechenden Definition der Souveränetät, stößt Herr Duncker den Seufzer aus "Jedenfalls gehört dies der Zukunft an" - und damit schließt er seine Rede.

Raum und Zeit schließen ein Eingehen auf die an demselben Tage gehaltenen Reden der Linken aus. Indessen werden unsre Leser schon aus den gegebenen Reden der Rechten gesehen haben, daß Herr Parrisius nicht ganz unrecht hatte, wenn er auf Vertagung antrug, aus dem Grunde, weil "die Hitze in dem Saale so hoch gestiegen ist, daß man seine Gedanken nicht vollständig klar haben kann"!

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 55 vom 25. Juli 1848]

**Köln, 24. Juli. Als wir vor einigen Tagen durch den Drang der Weltereignisse genötigt waren, die Schilderung dieser Debatte zu unterbrechen, hat ein benachbarter Publizist die Gefälligkeit gehabt, diese Schilderung an <233> unsrer Stelle zu übernehmen. Er hat das Publikum bereits auf "die Fülle treffender Gedanken und heller Ansichten", auf "den guten gesunden Sinn für wahre Freiheit" aufmerksam gemacht, welche "die Redner der Majorität in dieser großen zweitägigen Debatte gezeigt haben" - und namentlich unser unvergleichlicher Baumstark.

Wir müssen uns beeilen, die Debatte zu Ende zu bringen, aber wir können nicht umhin, einige Beispiele der "treffenden Gedanken und hellen Ansichten" der Rechten aus der "Fülle" hervorzusuchen.

Den zweiten Tag der Debatte eröffnet der Abgeordnete Abegg mit der Drohung an die Versammlung: Wenn man über diesen Antrag ins reine kommen wolle, so müsse man die ganzen Frankfurter Debatten vollständig wiederholen - und dazu sei die hohe Versammlung doch offenbar nicht berechtigt! Das würden ihre Herren Kommittenten "bei dem praktischen Takt und praktischen Sinn, der ihnen beiwohnt", nie billigen können! Übrigens, was solle aus der deutschen Einheit werden, wenn man sich (jetzt kömmt ein ganz besonders "treffender Gedanke") "nicht nur auf Vorbehalte beschränke, sondern zu einer entschiedenen Billigung oder Mißbilligung der Frankfurter Beschlüsse" übergehe! Da bleibe ja nichts als die "lediglich formelle Fügsamkeit"!

Natürlich, die "lediglich formelle Fügsamkeit", die kann man durch "Vorbehalte" und im Notfall auch direkt weigern, das kann der deutschen Einheit keinen Schaden tun; aber eine Billigung oder Mißbilligung, ein Urteil über diese Beschlüsse vom stilistischen, logischen oder Nützlichkeitsstandpunkt - da hört wirklich alles auf!

Herr Abegg schließt mit der Bemerkung, es sei die Sache der Frankfurter, nicht der Berliner Versammlung, sich über die der Berliner, nicht der Frankfurter Versammlung vorgelegten Vorbehalte zu erklären. Man dürfe den Frankfurtern nicht vorgreifen; das beleidige ja die Frankfurter!

Die Herren in Berlin sind inkompetent, über Erklärungen zu urteilen, die ihre eignen Minister ihnen machen.

Überspringen wir nun die Götter der kleinen Leute, einen Baltzer, einen Kämpff, einen Gräff, und eilen wir, den Helden des Tages, den unvergleichlichen Baumstark, zu hören.

Der Abgeordnete Baumstark erklärt, er werde sich nie für inkompetent erklären, sobald er nicht zugeben müsse, er verstehe von der Sache nichts - und das werde doch wohl nicht das Resultat der achtwöchentlichen Debatte sein, daß man von der Sache nichts verstehe?

Der Abgeordnete Baumstark ist also kompetent. Und zwar folgendermaßen:

<234> "Ich frage, sind wir denn durch unsere bisher bewiesene Weisheit dazu vollkommen berechtigt" (d.h. kompetent), "einer Versammlung gegenüberzutreten, welche das allgemeine Interesse Deutschlands, die Bewunderung von ganz Europa, durch die Vortrefflichkeit ihrer Gesinnung, durch die Höhe ihrer Intelligenz, durch die Sittlichkeit ihrer Staatsanschauung auf sich gezogen hat - ich sage, durch alles, was in der Geschichte den Namen Deutschlands groß gemacht und verherrlicht hat? Dem beuge ich mich" (d.h. erkläre mich inkompetent) "und wünsche, daß die Versammlung in dem Gefühl der Wahrheit (!!) sich ebenfalls beugen" (d.h. inkompetent erklären) "möge!"

"Meine Herren", fahrt der "kompetente" Abgeordnete Baumstark fort, "man hat in der gestrigen Sitzung gesagt, daß man von Republik usw. gesprochen, das sei ein unphilosophisches Wesen. Es kann aber unmöglich unphilosophisch sein, als ein Charakteristikum der Republik im demokratischen Sinne die Verantwortlichkeit dessen zu bezeichnen, der an der Spitze des Staats steht. Meine Herren, es steht fest, daß alle Staatsphilosophen von Plato an bis herab zu Dahlmann" (tiefer "herab" konnte der Abgeordnete Baumstark allerdings nicht steigen) "diese Ansicht ausgesprochen haben, und wir dürfen ohne ganz besondere Gründe, die noch erst vorgebracht werden müssen, dieser mehr als tausendjährigen Wahrheit (!) und historischen Tatsache nicht widersprechen."

Herr Baumstark meint also doch, daß man wohl zuweilen "ganz besondere Gründe" haben könne, um sogar "historischen Tatsachen" zu widersprechen. Die Herren von der Rechten pflegen sich allerdings in dieser Beziehung nicht zu genieren.

Herr Baumstark erklärt sich ferner abermals inkompetent, indem er die Kompetenz auf die Schultern "aller Staatsphilosophen von Plato bis herab zu Dahlmann" schiebt, zu welchen Staatsphilosophen Herr Baumstark natürlich nicht gehört.

"Denke man sich dies Staatsgebäude! Eine Kammer und ein verantwortlicher Reichsverweser, und basiert auf das jetzige Wahlgesetz! Bei einiger Betrachtung würde man finden, daß dies der gesunden Vernunft widerspricht."

Und nun tut Herr Baumstark folgenden tiefgeschöpften Ausspruch, der selbst bei der schärfsten Betrachtung nicht "der gesunden Vernunft" widersprechen wird:

"Meine Herren! Zur Republik gehört zweierlei: die Volksansicht und die leitenden Persönlichkeiten. Wenn wir unsere deutsche Volksansicht etwas näher betrachten, so werden wir darin von dieser" (nämlich der erwähnten reichsverweserlichen) "Republik wenig finden!"

<235> Herr Baumstark erklärt sich also abermals inkompetent, und diesmal ist es die Volksansicht, die für die Republik statt seiner kompetent ist. Die Volksansicht "versteht" also mehr von der Sache als der Angeordnete Baumstark.

Endlich aber beweist der Redner, daß es auch Sachen gibt, von denen er etwas "versteht", und zu diesen Sachen gehört vor allen Dingen die Volkssouveränetät.

"Meine Herren! Die Geschichte, und ich muß darauf zurückkommen, gibt den Beweis, wir haben Volkssouveränetät von jeher gehabt, aber sie hat sich unter verschiedenen Formen verschieden gestaltet."

Und jetzt folgt eine Reihe der "treffendsten Gedanken und hellsten Ansichten" über die brandenburgisch-preußische Geschichte und die Volkssouveränetät, welche den benachbarten Publizisten alle irdischen Leiden im Übermaß konstitutioneller Wonne und doktrinärer Seligkeit verschwinden macht.

"Als der Große Kurfürst jene morschen ständischen Elemente, infiziert von dem Gift französischer Entsittlichung" (das Recht der ersten Nacht war allerdings allmählich von der "französischen entsittlichten" Zivilisation zu Grabe getragen worden!) "unberücksichtigt ließ, ja (!) niederschmetterte" (das "Niederschmettern" ist allerdings die beste Art, etwas unberücksichtigt zu lassen), "da ward ihm allgemein vom Volke zugejauchzt in dem tiefen Gefühl der Sittlichkeit, einer Kräftigung des deutschen, insbesondere des preußischen Staatsgebäudes."

Man bewundre das "tiefe Gefühl der Sittlichkeit" der brandenburgischen Spießbürger des 17. Jahrhunderts, die im tiefen Gefühl ihrer Profite dem Kurfürsten zujauchzten, als er ihre Feinde, die Feudalherren, angriff und ihnen selbst Konzessionen verkaufte - man bewundre aber noch mehr die "gesunde Vernunft" und "helle Ansicht" des Herrn Baumstark, der in diesem Zujauchzen "Volkssouveränetät" erblickt!

"Zu jener Zeit ist keiner gewesen, der dieser absoluten Monarchie nicht gehuldigt hätte" (weil er sonst Stockprügel bekommen), "und der Große Friedrich wäre zu jener Bedeutung nicht gekommen, hätte ihn die wahre Volkssouveränetät nicht getragen."

Die Volkssouveränetät der Stockprügel, Leibeigenschaft und Frondienste - das ist für Herrn Baumstark die wahre Volkssouveränetät. Naives Geständnis!

Von der wahren kommt Herr Baumstark jetzt zu den falschen Volkssouveränetäten.

"Aber es kam eine andere Zeit, die der konstitutionellen Monarchie."

Dies wird bewiesen durch eine lange "konstitutionelle Litanei", deren kurzer Sinn ist, daß das Volk in Preußen von 1811 bis 1847 stets nach der <236> Konstitution, nie nach der Republik gerufen habe (!), woran sich ungezwungen die Bemerkung knüpft, daß auch von der letzten süddeutschen republikanischen Schilderhebung "das Volk sich mit Entrüstung hinweggewendet hat".

Daraus folgt nun ganz natürlich, daß die zweite Art der Volkssouveränetät (freilich nicht mehr die "wahre") die "eigentlich konstitutionelle" ist.

"Es ist die, durch welche die Staatsgewalt unter König und Volk geteilt wird, es ist eine geteilte Volkssouveränetät" (die "Staatsphilosophen von Plato bis herab zu Dahlmann" mögen uns sagen, was das heißen soll), "welche dem Volke unverkürzt und unbedingt werden muß (!!), aber ohne daß der König an seiner gesetzlichen Gewalt" (durch welche Gesetze ist diese in Preußen seit dem 19. März bestimmt?) "verliert - darüber ist Klarheit" (namentlich im Kopfe des Abgeordneten Baumstark); "der Begriff ist durch die Geschichte des konstitutionellen Systems festgesetzt, und kein Mensch kann mehr darüber im Zweifel sein" (die "Zweifel" fangen leider erst wieder an, wenn man die Rede des Abgeordneten Baumstark liest).

Endlich "gibt es eine dritte Volkssouveränetät, es ist die demokratisch-republikanische, auf den sogenannten breitesten Grundlagen ruhen sollende. Dieser unglückliche Ausdruck 'breiteste Grundlage'!"

Gegen diese breiteste Grundlage "erhebt" nun Herr Baumstark "ein Wort". Diese Grundlage führt zum Verfall der Staaten, zur Barbarei! Wir haben keine Catonen, die der Republik die sittliche Unterlage geben könnten. Und jetzt beginnt Herr Baumstark so laut in das alte, längst verstimmte und mit Beulen besäte Montesquieusche Horn von der republikanischen Tugend zu stoßen, daß der benachbarte Publizist von Bewunderung fortgerissen ebenfalls einstimmt und zum Erstaunen von ganz Europa den glänzenden Beweis führt, daß die "republikanische Tugend ... eben zum Konstitutionalismus führt"! Zu gleicher Zeit aber fällt Herr Baumstark in eine andere Tonart und läßt sich durch die Abwesenheit der republikanischen Tugend ebenfalls zum Konstitutionalismus führen. Den glänzenden Effekt dieses Duetts, in dem nach einer Reihe der herzzerreißendsten Dissonanzen zuletzt beide Stimmen auf dem versöhnenden Akkord des Konstitutionalismus zusammenkommen, mag sich der Leser denken.

Herr Baumstark kommt nun durch längere Erörterungen zu dem Resultat, daß die Minister eigentlich gar "keinen eigentlichen Vorbehalt" gemacht hätten, sondern nur "einen leisen Vorbehalt im Betreff der Zukunft", gerät zuletzt selbst auf die breiteste Grundlage, indem er das Heil Deutschlands nur in einem demokratisch-konstitutionellen Staate sieht, und wird dabei so sehr "von dem Gedanken an die Zukunft Deutschlands überwältigt", daß er sich durch den Ruf Luft macht: "Hoch, dreimal hoch das volkstümlich-konstitutionelle erbliche deutsche Königtum!"

<237> In der Tat, er hatte recht zu sagen: Diese unglückliche breiteste Grundlage!

Es sprechen nun noch mehrere Redner beider Seiten, aber nach dem Abgeordneten Baumstark wagen wir sie unsern Lesern nicht mehr vorzuführen. Nur eins erwähnen wir noch: Der Abgeordnete Wachsmuth erklärt, an der Spitze seines Glaubensbekenntnisses stehe der Satz des edlen Stein: Der Wille freier Menschen ist der unerschütterliche Pfeiler jedes Throns.

"Das", ruft der benachbarte Publizist, in Entzücken schwelgend, "das trifft den Mittelpunkt der Sache! Nirgends gedeiht der Wille freier Menschen besser als im Schatten des unerschütterlichen Throns, nirgends ruht der Thron so unerschütterlich wie auf der intelligenten Liebe freier Menschen!"

In der Tat, die "Fülle treffender Gedanken und heller Ansichten", der "gesunde Sinn für wahre Freiheit", die die Majorität in dieser Debatte entwickelt hat, reicht noch lange nicht an die inhaltreiche Gedankenschwere des benachbarten Publizisten!

Geschrieben von Friedrich Engels.